Vernetzung von gefährdeten Lebensräumen in der Südoststeiermark für den Erhalt gefährdeter Arten

   Lebensraum von Wanstschrecke und Rotbeinigen Erdbock

Drohnenfoto: © Manfred Pölzlbauer

Ausgangssituation

Der Artenrückgang hat vielfältige Ursachen: Monokulturen, Pestizide und andere Giftstoffe, Versiegelung der Böden sowie fehlende Vernetzungen. Die Artenzahlen verschiedener Pflanzen- und Tiergruppen sind nicht nur zurückgegangen, sie sind teils regelrecht eingebrochen. Oft unbeachtet sind dabei die Pilze, es ist jedoch davon auszugehen, dass es diesen nicht besser ergeht als den Pflanzen und Tieren.

Das Insektensterben schreitet auch in (Natur-)Schutzgebieten voran[1]. Leider bestehen Schutzgebiete – wie Natura 2000-Gebiete – nicht nur aus naturnahen Flächen. Nicht selten dominieren auch hier intensiv bewirtschaftete Flächen. Das sogenannte Gebiet Höll und Schuffergraben, einem ca. 180 ha großen Gebiet, Teil des steirischen Europaschutzgebietes 14, des südoststeirischen Hügellandes, sind über 80 % intensiv bewirtschaftete Ackerflächen oder Obstbaumkulturen, wobei die Anzahl an Maisflächen im Gebiet sogar noch stetig zunimmt. Geförderte Walnussbaumplantagen wurden nach Ende der Förderperiode wieder zu Ackerland und Obstbaumplantagen gerodet, um Mais anzubauen.

In Gebieten mit einem Mosaik aus naturnahen und intensiv bewirtschafteten Flächen sind ökologische Vernetzungsstrukturen wichtig. Sie ermöglichen den Austausch zwischen den Populationen sowie mit dem Umland, begünstigen eine Ausbreitung in neue Lebensräume und sind daher für den Erhalt von Arten wichtig. Eine optimale Vernetzung der Lebensräume ermöglicht das Wandern von Individuen zwischen Standorten und fördert so den Erhalt der Biodiversität. Eine ökologische Vernetzung der Lebensräume soll erreicht werden, indem vielfältige, kleine und große naturnahe Flächen sowie lineare naturnahe Strukturen in genügender Zahl geschaffen oder erhalten werden. Wichtig ist auch Barrieren und Hindernisse (z. B. versiegelte Flächen, Intensiväcker), die insbesondere Tiere am Wandern hindern, zu überbrücken oder das Umgehen zu ermöglichen, um die Vernetzung zu optimieren. Wie groß und vielfältig der Lebensraum und die Vernetzung jedoch sein müssen, um die Artenvielfalt weiter zu fördern, hängt stark von der Artengruppe ab, die betrachtet wird. Für wenig mobile Arthropoden (z. B. Insekten und Spinnentiere) sind Vernetzungselemente in einem kleinen bis mittleren Radius (10 - 50 m) wichtig.

Schirmarten

Im gewählten Projektgebiet, im Höll und Schuffergraben bei St. Anna am Aigen, sind die Vorkommen von zwei wenig mobilen Arthropoden aus zwei unterschiedlichen Ordnungen (Käfer (Coleoptera) und Heuschrecken (Orthoptera)) bekannt: Die beiden flugunfähigen Arten Rotbeiniger Erdbock (Dorcadion pedestre) und Wanstschrecke (Polysarcus denticauda) werden daher als Schirmarten herangezogen. Durch ihre hohen Ansprüche, welche sie an ihren Lebensraum stellen, wird mit ihrer Erhaltung das Überleben zahlreicher weiterer Arten im selben Lebensraum gefördert.

Rotbeiniger Erdbock (Dorcadion pedestre)

Dorcadion pedestre (Poda, 1761; Abbildung 1) ist eine vom Aussterben bedrohte (CR) Bockkäferart (Ökoteam 2021) der heutigen Kulturlandschaft (Adlbauer 1990). Die österreichischen Dorcadion-Arten zählen mit der Gefährdungskategorie 2 (stark gefährdet) generell zu den am stärksten bedrohten Bockkäfern (Adlbauer 2001).

Abbildung 1. Rotbeiniger Erdbock (Dorcadion pedestre) mit den typisch roten Beinen und dem roten ersten Fühlerglied.

In der Steiermark ist die Art bisher aus nur wenigen Gebieten bekannt – bei Bad Gleichenberg, Riegersburg, Unterlamm, St. Anna am Aigen und Klöch. Das bekannte Vorkommen in St. Anna am Aigen wurde vom Projektteam in zwei kleineren Vorstudien untersucht, auf die hier aufgebaut werden soll. Die beiden Vorkommen in Unterlamm und Klöch wurden vom Projektteam entdeckt. Alle Erdböcke haben gemeinsam, dass die Elytren (Deckflügek) der Imagines fest miteinander verwachsen und die Tiere damit flugunfähig sind sowie dass sich ihre Larven in der Erde entwickeln. Die fußlosen Larven ernähren sich von Graswurzeln (Cizek et al. 2012, Klausnitzer et al. 2016). Sie durchlaufen sechs Larvenstadien und verpuppen sich nach 13 bis 14 Monaten. Abhängig von den Wetterbedingungen sind die Imagines von Mitte/Ende April und sind bis Anfang Juli zu finden (Klausnitzer et al. 2016). Die Biologie von D. pedestre ist bisher nur unzureichend erforscht.

Wanstschrecke (Polysarcus denticauda)

Polysarcus denticauda (Charpentier, 1825; Abbildung 2) wird in Österreichs Roter Liste und lt. Roter Liste der Tiere der Steiermark (Ökoteam 2021) mit stark gefährdet (EN) gelistet.

Die Wanstschrecke lebt vegetarisch. Eine Bindung an einzelne Pflanzenarten besteht nicht, doch konnten einige bevorzugte Futterpflanzen festgestellt werden, z. B. verschiedene Klappertopfarten (Rhinanthus sp.) sowie der Wiesen-Storchschnabel (Geranium pratense). Die Imagines erreichen Größen von bis zu 45 mm und die Weibchen ein Gewicht von bis zu 5,5 g. Damit ist sie die größte und schwerste Sichelschrecke Europas.

Abbildung 2. Männchen (links) und Weibchen (rechts) von der Wanstschrecke (Polysarcus denticauda)

Ausgewachsene Tiere von P. denticauda können im Untersuchungsgebiet ab Mitte Mai bis Ende Juni beobachtet werden. Die Larven schlüpfen bereits Ende März bis Anfang April, damit ist die Art eine der ersten im Jahr.

Gefährdungsursachen: Durch ihre Mahdempfindlichkeit kann die Art auf intensiv bewirtschafteten Wiesen nicht bestehen. Durch zu frühe Mahd, gleichzeitige Mahd von großen Flächen, Düngung sowie Zerschneidung der Lebensräume durch Straßen, Siedlungen, Intensivkulturen etc. ist die Art gefährdet. Möglicherweise besteht eine starke Bindung an bodenfeuchte Standorte – P. denticauda vertragen es nicht, wenn Wiesen gemäht werden und keine Ausweichmöglichkeiten z. B. Altgrasstreifen verbleiben. Möglicherweise sind sie dahingehend sehr sensibel und verhungern und verdursten in relativ kurzer Zeit. Die Wanstschrecke zeigt sich ökologisch als sehr anspruchsvoll und benötigt gut besonntes, strukturreiches, extensiv genutztes, mageres Grünland. Diese Grünlandstandorte sollten allg. einen hohen Krautanteil besitzen und dürfen erst spät (Mitte/Ende Juli) gemäht werden. Bevorzugt werden südexponierte Halbtrockenrasen, trockene Glatthaferwiesen, extensive Weideflächen und Hochstaudenfluren (Rothhaupt 1994). Als Trittsteine und temporäre Ausweichhabitate werden auch strukturell ähnliche Ackerbrachen und Saumgesellschaften akzeptiert.

Intensivere Erhebungen im Projektgebiet zeigten größere Unterschiede in den Individuenzahlen im kleinräumigen Verbreitungsgebiet. So gab es wenige Magerwiesen mit wenigen Dutzend und einige Magerwiesen mit nur vereinzelten Nachweisen. Das scheint auf Ausbreitungsbarrieren hinzuweisen, welche den langfristigen Bestand gefährden könnten. Wegen der Populationsschwankungen bei Insekten (vgl. Kleiner 2013; Hermann et al. 2022) ist erst bei einer hohen Individuendichte von einer überlebensfähigen Population auszugehen. Auch wenn die Art seit vielen Jahren im Gebiet nachgewiesen werden kann, sind die Individuenzahlen deutlich geringer als in ähnlich großen Gebieten in Deutschland (vgl. Löderbusch 2015). Dabei spielen vermutlich neben dem Wiesenangebot, die voneinander isolierten Lagen der einzelnen Wiesenflächen, eine Rolle. Für die flugunfähige Art sind ein engmaschiger Biotopverbund und eine angepasste Grünlandnutzung von hoher Bedeutung.

Baumreihen Dietzen

Die Baumreihen in Dietzen (Gemeinde Halbenrain, Südoststeiermark) sind ein optimales Beispiel dafür, wie lineare naturnahe Strukturen, Lebensräume für Tiere, Pflanzen und Pilze in einer landwirtschaftlich intensiv genutzten Landschaft vernetzen können. Für eine Verbesserung des Vernetzungspotentials der Baumreihen sind Habitatoptimierungen notwendig. Die überwiegend aus alten Bäumen bestehenden Baumreihen sollen durch die Pflanzung von jungen, heimischen Bäumen und einer artenreichen Strauchschicht unterstützt werden. Zudem sind durch die Absenkung des Grundwassers (bis zu 2 m im Vergleich zu den 1980er Jahren), begründet durch das immer tiefere Einschneiden der Mur, die meisten kleineren natürlichen Stillgewässer ausgetrocknet bzw. nur temporär wasserführend. Eine Reihe von Tümpeln würde die Vernetzung von zahlreichen wassergebundenen Arten deutlich verbessern.

Projektziele

Vernetzung von Lebensräumen zum Schutz gefährdeter Arten

Es wird angenommen, dass die jeweiligen Vorkommen der beiden Schirmarten im Gebiet durch intensiv genutzte landwirtschaftliche Flächen voneinander isoliert sind. Ein regelmäßiger und ausreichend großer Austausch von Individuen wird durch die dazwischenliegenden, landwirtschaftlichen Flächen stark begrenzt bis vollständig verhindert. Daher wird eine möglichst engmaschige Vernetzung der Wiesenlebensräume angestrebt. Die Vernetzung soll über langfristige Nutzungsänderungen (Extensivierung), Verpachtung oder den Ankauf von Flächen erfolgen. Damit sollen Puffer- und Trittsteinflächen geschaffen werden.

Die Vernetzungsflächen sollen im Projekt je nach Bedarf und Möglichkeit

  • renaturiert,
  • in Dauergrünland überführt,
  • im Zuge des Mahdmanagements an die Bedürfnisse der Schirmarten angepasst,
  • zu Pufferstreifen in Form von Ackerblühstreifen, Brachflächen o. Ä. umgestaltet werden.

Optimierung der Vernetzungsflächen Dietzen

Die Optimierung der durch den alten Baumbestand besonderen Baumreihen bei Dietzen ist ein idealer Beitrag zum Biotopverbund. Die längste Baumreihe durchquert eine durch intensive Landwirtschaft geprägte Landschaft von Ost nach West und die kürzeren Baumreihen können als Trittsteine optimiert werden. Die optimierten Baumreihen würden zu einer besseren Vernetzung von Teilen des Natura 2000-Gebietes Steirische Grenzmur mit Gamlitzbach und Gnasbach beitragen.

Begleitet wird das gesamte Projekt von einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit, in Form von Vorträgen, Exkursionen und Beiträgen in verschiedenen Medien. Bei den öffentlichen Veranstaltungen werden die lokalen Besonderheiten hervorgehoben, mit dem Ziel der Identifizierung der Bevölkerung mit „ihren“ Arten und ökologisch wertvollen Lebensräumen.

Fördergeber

Dieses Projekt wird durch den Biodiversitätsfonds des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Klima- und Umweltschutz, Regionen und Wasserwirtschaft gefördert.

Fotos: © Frank Weihmann; Drohnenbilder: © Manfred Pölzlbauer

Letztmalig aktualisiert Juli 2025

Kontakt: Dr. Frank Weihmann

[1] https://nachrichten.idw-online.de/2023/04/26/verlust-der-insektenvielfalt-in-naturschutzgebieten-wie-handlungsbereitschaft-fuer-insektenschutz-entstehen-kann

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