2018: Gemeine Skorpionsfliege

Skorpionsfliegen – Insekten mit einem gefährlich klingenden Namen, von ungewöhnlichem Aussehen und doch vollkommen harmlos. Ihr Name rührt nicht von einem Giftstachel her, sondern vom relativ großen, auffällig über dem Hinterleib getragenen Kopulationsorgan der Männchen.

© Johannes Gepp

Ihr Kopf ist stark nach vorne verlängert, ein Merkmal, das sie mit vielen Verwandten gemeinsam haben und ebenfalls ihr Erscheinungsbild bestimmt. Charakteristisch sind ferner ihre dunklen Flügelzeichnungen, die meist als Bänder über ihre vier Flügel ziehen. Skorpionsfliegen gehören zur Gruppe der Mecoptera, den Schnabelfliegen, die mit etwa achthundert beschriebenen Arten weltweit verbreitet sind. Skorpionsfliegen sind in ganz Europa nicht selten. Besonders häufig in Mitteleuropa ist die Gemeine Skorpionsfliege Panorpa communis, und obwohl sie sich hier überall in Gebüschgruppen, auf buschbestandenen Lichtungen in Wäldern, an Wald- und Wegrändern, aber auch auf Wiesen oder in Brennesselbeständen findet, ist sie wenig bekannt. Wegen ihrer schwarz markierten Flügel entgeht sie in ihren Lebensräumen aus Licht und viel Schatten leicht dem suchenden Auge. Dabei tendiert sie als nur mäßig guter Flieger nicht einmal dazu, rasch oder über größere Strecken zu entkommen; mit etwas Geduld und unter nicht zu hastigen Bewegungen ist es nicht schwierig, sie zu entdecken. Wenn sie sich bei Gefahr aber schnell in die tiefsten Vegetationsschichten zurückzieht, ist sie kaum noch auszumachen.

Hinsichtlich ihrer Nahrung ist die Gemeine Skorpionsfliege anspruchslos. Sie frisst an reifen Früchten wie Himbeeren oder Brombeeren (oder in Obstgärten an herabgefallenem Obst) ebenso wie an toten oder verendenden anderen Insekten oder Spinnen. Als geschickter Kletterer kann sie sich sogar behende in Spinnennetzen bewegen und frisst hier bisweilen als Kleptoparasit von der Beute der Spinne. Aber sie verschmäht auch nicht Aas von Wirbeltieren (so haben Angler Skorpionsfliegen an ihren Fischen beobachtet), und sie nascht vereinzelt auch an Kot oder besucht Blüten ihres Nektars und Pollens wegen. Mit ihren kräftigen Kiefern ist es ihr ein Leichtes, kleine Stücke zum Verzehr abzuschneiden, und ihr langer Vorderkopf, das Rostrum, erlaubt es ihr, durch die Kutikula toter Insekten hindurch tief im Körper gelegenes Gewebe zu erreichen.

Fortpflanzung und Lebenszyklus
Abhängig von klimatischen Bedingungen schlüpfen ungefähr ab Ende April/Anfang Mai aus der im Boden ruhenden Puppe die ausgewachsenen Tiere. Hier hatten in selbst gegrabenen Gängen auch die Larven gelebt, die mit relativ wenigen Borsten und einem vergleichsweise großen Kopf kleinen Schmetterlingsraupen ähneln. Sie ernähren sich von zergehendem organischen Material, dem sie sich, wenn es direkt dem Boden aufliegt, von unten her nähern.

Die Puppe überwintert; allerdings gibt es unter günstigen Bedingungen eine zweite Generation im Jahr, die sich innerhalb weniger Wochen entwickelt. Dann erscheinen im Sommer ein zweites Mal ausgewachsene Tiere. Zur Fortpflanzung suchen die Weibchen und Männchen einander meist zu Zeiten der Dämmerung bzw. bei geringem Lichtfluss auf. Zunächst verströmt das Männchen einen Lockstoff, man macht durch Winken mit den Flügeln und Vibrationen des Hinterleibes aufeinander aufmerksam, und wenn die beiden Partner nebeneinander sitzen, bietet das Männchen dem Weibchen eine proteinreiche Gabe aus seinen Speicheldrüsen, an der es zu fressen beginnt. Je umfangreicher diese Hochzeitsgabe und je häufiger ein solches Geschenk übergeben wird, desto größer die Chance, dass das Männchen akzeptiert wird, und desto länger kann eine Kopulation währen. Zur Sicherung der Paarung hält das Männchen mit einem kurzen Fortsatz an seinem dritten Hinterleibssegment, dem Notalorgan, den Flügelvorderrand des Weibchens fest. Jetzt stehen die Partner mit überkreuzten Flügeln in einem Winkel zueinander, mit den Köpfen nicht weit voneinander entfernt. Nun führt das Männchen sein Hinterleibsende an das der fressenden Partnerin heran und umgreift mit den Zangen seines Kopulationsorgans vorsichtig tastend das Abdomenende des Weibchens.

Der männliche Kopulationsapparat ist eine rundliche Kapsel, die aus Anhängen des 9. Hinterleibsegmentes gebildet wird und an ihrem Ende zwei bewegliche Zangen trägt. Abschließend verstärkt das Männchen den Griff mit seiner Zange, um während der Spermaübertragung eine sichere Verbindung zu ermöglichen. Der Samentransfer wird durch eine winzige Pumpe im Inneren des männlichen Kopulationsapparates gewährleistet. Sie besteht aus einem Hohlraum, in den aus den Hoden von einer Seite her das Sperma eingeleitet wird, und einem durch Muskeln beweglichen Kolben, der das Sperma durch eine winzige Öffnung an der anderen Seite des Hohlraumes heraus und in die Genitalgänge des Weibchens pumpt. Nach der Paarung trennen sich die Partner. Das Weibchen beginnt etwa vier Tage nach der Kopulation nach und nach an mehreren Stellen einige Dutzend Eier im Boden abzulegen, wozu es seinen schlanken Hinterleib stark verlängern und in Lücken im Untergrund einführen kann.

Geographische Verbreitung
Das Verbreitungsgebiet der Gemeinen Skorpionsfliege umfasst ganz Mitteleuropa inklusive der Britischen Inseln und des südlichen Skandinaviens, im Osten erreicht sie Süd-Finnland und die westlichen Teile Russlands, in Südosteuropa die nördlichen Balkanländer. Auf der Iberischen Halbinsel hingegen ist sie nicht vertreten; hier lebt nur Panorpa meridionalis, die in ihrer stark ausgeprägten Flügelzeichnung Panorpa vulgaris ähnelt.

Gefährdung und Schutz
Die Gemeine Skorpionsfliege genießt keinen besonderen Schutzstatus, und dank ihrer Anpassungsfähigkeit ist eine Gefährdung nicht zu erwarten. Ein entfernter Verwandter hingegen – der Mückenhaft Bittacus, der zu den Bittacidae gehört – ist extrem selten und wegen der Zerstörung seiner Lebensräume, insbesondere von Auenwäldern, in Mitteleuropa vom Aussterben bedroht.

Ein Blick auf die Verwandtschaft
Neben der Gemeinen Skorpionsfliege gibt es in Mitteleuropa nur noch wenige weitere Arten der Panorpidae. Kaum von ihr zu unterscheiden ist die durch breitere Flügelbanden gekennzeichnete Panorpa vulgaris, die regional mit Panorpa communis zu hybridisieren scheint (und dann keine eigene Art darstellen würde), andernorts aber biologisch strikt von ihr getrennt ist. Panorpa cognata unterscheidet sich von P. communis durch ihren hellbraunen Kopf, hellere, rauchig erscheinende Flügelmarken und eine breitere Rückenzeichnung auf dem mittleren und hinteren Thoraxsegment. Meistens früher als Panorpa communis erscheint im Jahresverlauf Panorpa germanica, an den schmaleren Flügelbanden und kleineren Flecken auf den Flügeln kenntlich. Trotz aller Ähnlichkeit relativ entfernt mit Panorpa communis verwandt ist Aulops alpina, eine Art mit kleinen Flügelflecken und einem weißlichen Flügelstigma (Pterostigma). Sie hat den Norden Mitteleuropas nicht besiedelt. Grundsätzlich sind alle Arten sicher anhand der Strukturen ihrer Geschlechtsorgane zu unterscheiden – das gilt für die Männchen ebenso wie für die Weibchen.

Den Skorpionsfliegen sehr ähnliche Arten gibt es seit dem Erdmittelalter – hier Orthophlebia elenae aus dem Jura von Kasachstan (Alter ca. 155 Millionen Jahre). Mecopteren waren schon im Perm artenreich vertreten.

Das Österreichische Insekt des Jahres wird vom Naturschutzbund und der Österreichischen Entomologischen Gesellschaft ernannt.

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